Heute drehte sich in Dresdens Stadtarchiv alles um eine Urkunde. Einen einzigen Tag lang, von 9 bis 21 Uhr, war sie im Original von jedermann zu bestaunen: jene Urkunde, die Dresden erstmals mit dem Begriff als Stadt im rechtlichen Sinne – als civitas – nennt. Mit dieser Urkunde bestätigte Markgraf Dietrich von Meißen dem Kloster Altzelle dessen Besitz am Dorf Zadel bei Meißen.
Auf den Tag genau vor 800 Jahren – setzt man die Datierung in den Urkundenbüchern als korrekt voraus – ließ der Markgraf als Stadtherr die Urkunde in unserer Stadt (in civitate nostra) ausstellen. Und dies geschah 10 Jahre nach der ersten Überlieferung Dresdens in der Schriftlichkeit überhaupt, so dass die Stadt nun ein zweites 800jähriges Jubiläum für sich „verbuchen“ durfte. – Zur heutigen Pressekonferenz war von Eckhart Leisering, Archivar am Hauptstaatsarchiv Dresden, das diese Urkunde verwahrt, viel zu erfahren, was das Dokument inhaltlich bietet: so etwa zur problematischen Datierung des Schriftstücks oder dass eine Reihe von Orten in der Umgebung Dresdens mit dieser Urkunde erstmals erwähnt werden und damit gleichfalls 800 Jahre feiern können. Wieviele Orte das sind, ist unten herauszufinden …
Aus konservatorischen Gründen werden originale Schriftstücke dieser Art selten in der Öffentlichkeit gezeigt: diesmal war es ein besonderer Tag in der Stadtgeschichte (diese und weitere ‚Dresden-Urkunden‘ durften sogar fotografiert werden!). Für alle Interessierten jedoch, die nicht eigens den Weg ins Stadtarchiv antreten konnten, bietet die digitale Welt viele Optionen daran teilzuhaben:
Einen ansprechenden Gesamteindruck der originalen Dresden-Urkunde von 1216 inklusive weiterer Kerndaten bietet eine Webseite des Hauptstaatsarchivs Dresden. Die Edition (d.h. die kommentierte Druckausgabe) gibt es bereits seit 1898, online unter CDS I/3/217. Doch einen wichtigen Anhaltspunkt zur Datierung der Urkunde lieferte erst Tom Graber 2006 mit der Neuedition im Urkundenbuch des Klosters Altzelle, dort unter CDS II/19/48 – seit kurzem erst ist das Urkundenbuch auch online verfügbar! Graber zufolge ist – ausgehend von der Indiktion V., die für 1217 spräche – auch eine Datierung in jenes Jahr zumindest als Möglichkeit zu diskutieren.
Hauptakteure der Beurkundung 1216 waren Markgraf Dietrich (der Bedrängte) als Aussteller und das Kloster Altzelle als Empfänger der Urkunde; ein amtierender Abt wird nicht erwähnt. Der Gegenstand des Rechtsaktes war das Dorf Zadel bei Meißen, das im Laufe der Zeit vollständig in Klosterbesitz übergegangen war.
Die in der Urkunde zahlreich genannten Personen geben Aufschluss über Besitzstände, soziale Netzwerke und Herrschaftsstrukturen. Nachfolgend allerdings interessieren Personen, die neben ihrem Vornamen eine Herkunftsbezeichnung nach einem Ort führen; zu diesem Ort standen sie in unmittelbarer oder vergangener Beziehung: so war Tammo de Sconeuelt = Tammo v. Schönfeld wohl der Besitzer der Wasserburg, die als Vorgänger des heutigen Schlosses Schönfeld anzusehen ist. Zumeist handelte es sich bei diesen Personen um kleine Herrschaftsträger im Dienst der Fürsten, des Hochadels oder der Geistlichkeit.
Als Vorbesitzer der Altzeller Güter in Zadel werden genannt: Walter und Volkmar v. Glaucha; Pribizlaus (Geistlicher) v. Göda und sein Bruder Peter; Hugo de Kotenewiz (später Ketzergasse) sowie die vier Brüder Rudolf, Brumzlaus, Diepold, Hagen und deren Schwester Lucia v. Zadel.
Doch wer war in Dresden als Zeuge dieser Urkunde zugegen? Als Zeugen traten in der Regel Personen auf, die in einer Beziehung zu Aussteller, Empfänger oder dem Gegenstand der Rechtsprechung standen. Hier in Dresden waren dies: Bertram, Propst des Kollegiatstifts Wurzen; Ulrich, Notar (Schreiber) des Markgrafen; Vratislav, Sohn König Ottokars I. v. Böhmen und Neffe Markgraf Dietrichs; Peter und Brumzlaus, Brüder v. Briesnitz; Christian v. Cunnersdorf; Konrad de Ozzech (wahrscheinlich Konrad v. Großenhain); Tammo v. Schönfeld; Peter, Sohn des Volkmar v. Dohna; Boriwo v. Tharandt; Hertwich v. Meißen; Hugold villicus v. Meißen; Gottfried v. Auleben; Volkmar de Sciskwiz (vermutlich v. Zitzschewig); Otto v. Kleincarsdorf; Albert Slichting (vielleicht zum späteren Geschlecht der Schlichting); Rüdiger Sueuus (der Schwabe) und viele weitere.
Außerdem tragen einige adlige Dienstleute slawische Personennamen, etwa Brumzlaus/Brunislaus > Bron(i)slav (Zadel; Briesnitz); Pribislaus > Pribyslav (Göda) und Boriwo > Borivoj (Tharandt), während ihre Brüder deutsche Vornamen bzw. christliche Taufnamen haben. Somit war zu jener Zeit (immer noch) slawisches Namengut unter kleinen Herrschaftsträgern verbreitet, denn bereits seit langem schon hatten sich deutscher und slawischer Adel ethnisch vermischt. Diese Erscheinung in der Namenüberlieferung ist im meißnischen Raum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts festzustellen, danach treten kaum noch slawische Vornamen in größerer Zahl in Schriftquellen auf. – Doch nicht nur aus Sicht der Namen ist zu wünschen, dass die Dresden-Urkunde von 1216 künftig im Blick der historischen Forschung bleibt – so etwa wie die Ersterwähnung Dresdens vom 31. März 1206.
Quellen zum Weiterlesen
Bildnachweis: Urkunde Nr. 200, SächsHStA Dresden (Foto: S. Baudisch)
Hallo Herr Ehrhardt,
das Datierungsproblem wird gut verständlich von Tom Graber (Urkundenbuch des Zisterzienserklosters Altzelle, Teil 1) erklärt: CDS II/19/48, S. 73, Anm. 1; der Link zur Urkunde auch bereits oben im Text. Besonders erfreulich für alle Nutzer ist es, dass der 2006 erschienene Band seit Jahresbeginn 2016 nun auch online für alle jederzeit im Fernzugriff verfügbar ist. Viel Spaß beim Stöbern darinnen!
Liebe Frau Baudisch,
ein interessanter Artikel! Könnten Sie mehr zur Frage der „problematischen Datierung“ schreiben?
Beste Grüße!